Emissionsstudie

Primitives Produkt Design. Ausgasungen aus komplexen Produkten des alltäglichen Gebrauchs.

Inhaltsverzeichnis

01 KENNWORTE
02 RESUMÉ
03 EINLEITUNG
04 UNTERSUCHUNG
05 ERGEBNISSE
06 GESUNDHEITLICHE FOLGEN
07 GRENZWERTE
08 VERLAGERUNG DER PRODUKTION IN BILLIGLOHNLÄNDER AUF
     KOSTEN DER UMWELT UND GESUNDHEIT
09 SCHLUßFOLGERUNGEN
10 AUTOREN
11 LITERATURLISTE
12 BESTELLFORMULAR

1 Kennworte

  • Innenraumluftbelastung
  • Sick-Building-Syndrom
  • Intelligentes Produktdesign
  • Produktemissionen
  • Chemikalienausgasungen

2 Resumé

Viele Produkte des alltäglichen Gebrauchs für Haushalt, Büro, Unterhaltung oder Freizeit emittieren oft unangenehm riechende Substanzen. Ziel der vom Hamburger Umweltinstitut e.V. durchgeführten Untersuchung war, einige typische Alltagsprodukte auf die analytisch nachweisbaren ausgasenden chemischen Bestandteile zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden ausführlich in der Studie „Poor Design Practices - Gaseous Emissions from Complex Products“ dokumentiert. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, daß aus diesen Produkten eine große Zahl flüchtiger Chemikalien emittiert wird. Viele der nachgewiesenen Substanzen sind toxisch. Darüber hinaus wurden einige cancerogene Substanzen gefunden, sowie Stoffe, die im Verdacht stehen, das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit zu stören. Abschätzungen zeigen, daß die einzelnen Konzentrationen der Gase in der Innenraumluft nicht akut giftig wirken. Trotzdem bergen diese Emissionen ein Gesundheitsrisiko. Die Produktemissionen ebenso wie große Mengen von Sondermüll können vermieden werden, wenn Produkte durch ein Re-Design und ein Optimieren der Herstellungsprozesse grundlegend verändert werden. Hier sind die Hersteller gefordert: Umwelt- und Gesundheitskriterien müssen zu Hauptbestandteilen moderner Produktqualität werden.

3 Einleitung

Viele Produkte des alltäglichen Gebrauchs für Haushalt, Büro, Unterhaltung oder Freizeit, geben für einige Zeit oft unangenehme Gerüche ab. Nicht alle Substanzen kann man riechen. Oft verflüchtigen sich die Chemikalien auch unbemerkt vom Benutzer über einen längeren Zeitraum. Das Hamburger Umweltinstitut ist diesem Phänomen nachgegangen und hat einige typische Alltagsprodukte auf die analytisch nachweisbaren Ausgasungen untersucht.

4 Untersuchung

Die Untersuchungen wurden mit einer speziellen Ausgasungsapparatur durchgeführt. Die Analyse auf die nachweisbaren emittierten Substanzen erfolgte mittels eines Gaschromatographen, der zur Erhöhung der Empfindlichkeit mit einem Mikrowellenthermodesorber kombiniert wurde (siehe Abbildung Versuchsaufbau).

Anders als bei gängigen Untersuchungen dieser Art, wurde hier nicht speziell nach bestimmten einzelnen Substanzen gesucht, sondern versucht, die die möglichst vollständige Bandbreite flüchtiger Chemikalien aus einem einzelnen Produkte zu erfassen.

Die Untersuchungen wurden exemplarisch an typischen Produkten des alltäglichen Gebrauchs verschiedenster Art und Herkunft durchgeführt, wie zum Beispiel Turnschuhe, Haarfön, Handmixer, elektrischer Rasierer, Telefon, Vinyltapete, Teppichböden, Computermouse, Anrufbeantworter (siehe auch Tabelle).

5 Ergebnisse

Die Untersuchungsergebnisse zeigten, daß aus diesen Produkten eine große Zahl flüchtiger Chemikalien emittiert wird. Mehr als 100 verschiedene Verbindungen insgesamt konnten in den getesteten Produkten identifiziert werden. Einige Vertreter chemische Substanzklassen wurden in allen Produkten gefunden. Dazu zählen aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe, aliphatische Alkohole und Ketone als Lösemittel sowie Phenolderivate und Phthalate als Kunststoffadditive. Andere Substanzen wurden lediglich bei einzelnen Produkten nachgewiesen. Viele der identifizierten Verbindungen sind toxisch. Darüber hinaus wurden einige cancerogene Substanzen gefunden sowie Substanzen, die im Verdacht stehen, das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit zu stören.

Beispielsweise wurde in einigen Produkten Benzol in relevanten Konzentrationen nachgewiesen. Benzol wirkt beim Einatmen am gefährlichsten, kann aber auch durch die Haut aufgenommen werden. Gespeichert wird es vor allem im Fett- und Nervengewebe und im Knochenmark. Es schädigt das Knochenmark, verändert die Blutgerinnungsfähigkeit und zerstört die Kapillarwände. Langfristig greift es das Immunsystem an, wirkt erbgutschädigend und kann Leukämie auslösen.
Dibutylphthalat wird als gängiger Weichmacher in Plastik verwendet. Dieser Stoff gehört zur Gruppe der Phthalate, die im Verdacht stehen pseudoöstrogene Wirkungen zu haben.

Das Lösungs- und Konservierungsmittel Naphthalin wiederum, das zum Beispiel aus einem Elektrorasierer „Made in China“ ausgaste, steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Der gleiche Stoff wurde im Teppichboden gefunden, wo er die Funktion erfüllen soll, die Naturfasern haltbarer zu machen und vor Mottenbefall zu schützen.

Im folgenden werden die Untersuchungsergebnisse einiger untersuchter Produkte dargestellt.

Produktbeispiele

Elektrischer Handmixer

Der Mixer wurde nach 15 Minuten Betrieb untersucht.

Hauptsächlich emittierte Verbindungen:
BHT Nonanal, verschiedene n-Alkane, tert.-Butylmethylphenol, Styrol,Toluol

Emissionsrate aller Chemikalien (total):
20 µg/h

Verbindung mit der höchsten Emissionsrate:
BHT (1,1 µg/h)

Gefährlichste Verbindungen:
Trichlorethen (Verdacht auf Cancerogenität), Cyclohexanon (Verdacht auf Cancerogenität), Styrol (Genotoxizität der Metaboliten)

Vinyltapete (PVC-Beschichtung)
Die Emissionsrate bezieht sich auf 1 qm Fläche (eine Seite).

Hauptsächlich emittierte Verbindungen:
2-Ethylhexanol, verschiedene n-Alkane, verschiedene alkylierte Cyclohexane

Emissionsrate aller Chemikalien (total):
2.520 µg/h* m2

Verbindung mit der höchsten Emissionsrate:
2-Ethylhexanol (249 µg/h* m2)

Gefährlichste Verbindung:
Toluol (Verdacht auf Teratogenität)

Die Emissionsrate von 2-Ethylhexanol aus der Vinyltapete war die höchste in der Gesamtuntersuchung gemessene Emissionsrate einer einzelnen Substanz.

6 Gesundheitliche Folgen

Der Verbraucher erwirbt ein Produkt, das neben der erwünschten Funktion möglicherweise auch unerwünschte Nebenwirkungen hat. Aus den Produkten entweichen Substanzen, die - beispielsweise bei der Verwendung von Elektrogeräten - direkt eingeatmet werden können oder die Raumluftqualität beeinträchtigen. Diese Substanzen können teilweise auch in geringen Konzentrationen gesundheitliche Beeinträchtigungen auslösen oder verstärken.

Diese sind abhängig von verschiedenen Faktoren wie allgemeiner Gesundheitszustand, Ernährung, Geschlecht und Alter. Kinder gehören zum Beispiel aufgrund ihres Alters zu den sogenannten Risikogruppen, weil unter anderem ihr Immunsystem noch nicht ausreichend entwickelt ist. Zunehmend leiden Menschen an chronischen Erkrankungen, die das Immunsystem betreffen und die Umweltmediziner beschäftigen. Hierzu gehören zum Beispiel Allergien, Chemikalienunverträglichkeiten (MCS) oder das Sick Building Syndrom (SBS). Für sie sind die nachgewiesenen Chemikalienausgasungen besonders spürbar und relevant.

Einige Umweltchemikalien stehen im Verdacht, das empfindliche Hormongleichgewicht zu stören und werden als eine der Ursachen zunehmender Krebserkrankungen der Prostata, der Hoden und der Brust diskutiert.

Die Wirkungen der großen Anzahl und Mengen weltweit produzierter Chemikalien sind nur selten bekannt, ebenso wenig wie deren jeweilige Wechselwirkungen mit anderen Chemikalien. Nur für wenige dieser Substanzen gibt es standardisierte Analyseverfahren. Einige von diesen synthetischen Substanzen entfalten biologische Wirkungen, die erst nach Jahren auftreten.

7 Grenzwerte

Prinzipiell existieren derzeit nach wie vor kaum Richtlinien, welche Stoffe in Produkten enthalten sein dürfen. Die Hersteller und untersuchenden Institute richten sich nach Grenzwerten, die in der MAK-Liste (Liste der Maximalen Arbeitsplatzkonzentration) festgelegt sind oder in anderen Ländern nach deren Aquivalenten der jeweiligen Ländergesetzgebungen. Weitgehend unklar und selten nachprüfbar bleibt, ob in sogenannten Billiglohnländern solche Grenzwerte Berücksichtigung finden. Einige Chemieproduzenten und Hersteller betonen in ihren Umweltberichten, daß derselbe hohe Umweltstandard weltweit angewendet wird, andere wiederum halten sich lediglich an die im Herstellerland geltende Gesetzgebung.

In Entwicklungsländern oder Schwellenländern entspricht die Umwelt- und Arbeitsschutzgesetzgebung noch relativ selten dem hier geltenden Standard.
Für einige Bereiche kommen jedoch selbst die MAK-Grenzwerte nicht zur Anwendung. So gibt es bisher keine Grenzwerte für Innenraumluftbelastung. Das Problem wird dadurch verschärft, daß häufig die modernen baulichen Maßnahmen zur Wärmedämmung zwar die Energieeffizienz steigern, jedoch leider in der Regel eine natürliche Belüftung verhindern. Die Innenraumluftbelastung durch chemische Substanzen wird dadurch verstärkt.

Viele Menschen, insbesondere Kleinkinder sowie ältere und kranke Menschen, halten sich heutzutage oft bis zu 90% ihrer Zeit in Innenräumen auf. Daher ist die zunehmende chemische Belastung der Innenraumluft ein Problem, was nicht nur in der eigenen Wochnung, sondern auch am Arbeitsplatz zum Beispiel im Büro oder im Kaufhaus spürbar ist. Es ist davon auszugehen, daß sich einige hieraus resultierende gesundheitliche Effekte erst in Zukunft zeigen werden.

8 Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer auf

Kosten der Umwelt und Gesundheit

Die Untersuchungen haben auch ergeben, daß Produkte aus verschiedenen Herkunftsländern eine unterschiedliche Produktqualität hinsichtlich der Emissionsraten aufweisen.

Die Senkung der Produktionskosten ist mehr denn je das Mittel der Wahl zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit auf globalen Märkten. Global Sourcing und Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer sind nicht nur bekannte Schlagwörter, sondern weltweit gängige Praxis. Viele Produkte werden heutzutage ganz oder teilweise im Ausland gefertigt, wo Arbeits- und Umweltschutz häufig eine untergeordnete Rolle spielen. Hinter großen Markennamen verbirgt sich oft ein Produktdesign, das in erster Linie auf äußere Faktoren abzielt.
Aber auch „Made in Germany“ ist keine Garantie für ein umwelt- und gesundheitsverträgliches Qualitätsprodukt, da oftmals Komponenten unbekannter Herkunft und Inhalts an deutschen Produktionsstandorten lediglich zusammengesetzt werden.

9 Schlußfolgerungen

„Design for Reincarnation“ - Ein intelligentes Produktdesign

Will man Produktemissionen ebenso wie Berge von Sondermüll vermeiden, ist es notwendig, die Produkte durch ein Re-Design und eine Optimierung der Herstellungsprozesse grundlegend zu verändern. Schon in der Produktentwicklung sind Designer und Hersteller gefordert, sich Unterstützung für eine umwelt- und gesundheitsverträgliche Konstruktion ihrer Produkte zu holen und sich über Experten, Datenbanken oder andere Informationssysteme über Stoffe und Stoffkombinationen zu informieren. Wichtig ist hier auch ein funktionierendes Qualitätmanagement, das die Produktauswahl des Vorlieferanten mit einschließt. Hier gilt es auch, nicht wahllos neue Substanzen einzusetzen, die sich im nachhinein als nicht besser als ihre schädlichen „Vorgänger“ erweisen. Letztendlich kann nur eine gezielte Produktlinienanalyse neue Fehler vermeiden.
Der sich hieraus ergebende Marktvorteil gegenüber umwelt- und gesundheitsschädlichen Produkten wird von den meisten Produzenten immer noch unterschätzt und nicht entsprechend ausgebaut. Solange Produzenten hier nicht konsequent handeln und ihre Produktpolitik verändern, bleiben den Verbrauchern nur wenige Möglichkeiten. Da es nur für wenige Produkte eine Deklarationspflicht für Inhaltsstoffe gibt, haben Verbraucher in der Regel wenig bis keine Orientierung bei der Suche nach umweltverträglichen Produkten.

Die wichtigsten Kriterien für ein intelligentes Produktdesign sind:

  • Eliminierung von bioakkumulierbaren (sich im Ökosystem anreichernden) und persistenten (nicht abbaubaren) Stoffen sowie Chemikalien mit mutagener (erbgutschädigender), teratogener (Mißbildungen verursachender), cancerogener (krebserregender) und des Hormonsystem beeinflussender Wirkung und solcher Chemikalien, die im Verdacht stehen, diese Eigenschaften zu haben.
  • Design for Reincarnation - Entwicklung von recyclierbaren Produkten und Materialien, die in technischen oder biologischen Kreisläufen geführt werden können.
  • Umwelt- und Gesundheitsaspekte als Schwerpunkte bei der Entwicklung eines Produktstandards
  • Deklarationspflicht für Inhaltsstoffe der benutzten Chemikalien und deren Konzentration im Produkt.
  • Produkthaftung für Chemikalienhersteller und Produzenten hinsichtlich der Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen ihrer Produkte.
  • Weltweit einheitliche Umwelt- und Arbeitsschutzstandards in der Produktion
  • Weltweite Reduzierung und Limitierung der Chemikalienzahl.
  • Entwicklung neuer Ansätze zur Reduzierung der sich in der Umwelt befindlichen Menge synthetischer Chemikalien.
  • Keine Produktion oder Vermarktung chemischer Produkte, die nicht toxikologisch überprüft wurden und für die keine standardisierten Analysenmethoden existieren.

Ein Beispiel für ein Produkt, das nach diesen Kriterien entwickelt wurde, ist der Stoff Climatex® LifecycleTM der Schweizer Firma Rohner Textil AG in Heerbrugg, der unter anderem als Möbelbezugsstoff eingesetzt wird. Dieser qualitativ hochwertige Stoff wurde für einen biologischen Kreislauf konzipiert und ist vollständig biologisch abbaubar. Er besteht aus den beiden Naturfasern Wolle und Ramie und ist mit halogen- und schwermetallfreien Farbstoffen gefärbt. Der gesamte Produktlebenszyklus des Stoffes und aller an seiner Herstellung beteiligten Chemikalien (z.B. Textilhilfsmittel und Farbstoffe) wurde optimiert. Das Produkt ist völlig gesundheits- und umweltverträglich, ohne daß Nachteile hinsichtlich Qualität, Ästhetik oder Preis in Kauf genommen werden müssen.

Die Anwendung von Umwelt- und Gesundheitskriterien im Produktdesign muß zu einem Hauptbestandteil modernen Produktqualität werden. Hier bieten sich langfristig Vorteile auch in einem globalen Wettbewerb.

10 Autoren

Prof. Michael Braungart, Anke Bujanowski, Dr. Christian Sinn
Die Autoren Anke Bujanowski (Sprachwissenschaftlerin), Prof. Michael Braungart (Chemiker und Verfahrenstechniker) und Dr. Christian Sinn (Chemiker) sind ehrenamtlich für das Hamburger Umweltinstitut tätig. Das Hamburger Umweltinstitut e.V. ist ein unabhängiger, gemeinnütziger Verein zur Forschung und Lehre auf dem Gebiet der angewandten Umweltwissenschaften.

11 Literaturliste

Quelle und Literaturhinweise: Braungart, M., Bujanowski, A., Schäding, J., Sinn, C., Poor Design Practices - Gaseous Emissions from Complex Products, Project Report Hamburger Umweltinstitut e.V., Hamburg 1997.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in der englischsprachigen Studie enthalten. Sie kann unter der oben genannten Adresse bestellt werden (DM 50,00 plus Versandkosten).

Der Artikel erschien in ähnlicher Form in: „Müllmagazin - Fachzeitschrift für ökologische Abfallwirtschaft, Abfallvermeidung und Umweltvorsorge“, Nummer 2/1998; 2.Quartal; 15. Mai 1998. RHOMBOS-VERLAG, Kurfürstenstr. 17, 10785 Berlin, Tel. 030/2619461, Fax. 030/2616854

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